Restaurant Bareiss***, Baiersbronn - Traditions-Genuss-Kontinuum

Veröffentlich am 28.09.2022


Konstanz und Kontinuität sind Attribute, welche gerade heutzutage immer rarer scheinen. Gerade im Gastgewerbe haben es viele Betriebe derzeit besonders schwer diese Eigenschaften zu erfüllen. Wir selbst, als leidenschaftliche Restaurant-Gänger, sind regelmäßig Zeuge dieser Entwicklung -  auch wenn diese sicher sehr häufig unverschuldet und pandemiebedingt eingetreten ist. Frei nach dem juristischen Grundsatz "Testis non es iudicare" schildern wir jedoch lediglich Beobachtungen. Das Bewerten obliegt anderen.

Umso erfreulicher, dass es noch Felsen, ja sogar wahrhaftige Berge in dieser Landschaft gibt, welche breitschultrig den schwierige Gezeiten zu trotzen scheinen und eine faszinierende Stetigkeit vermitteln, welche uns allen Hoffnung geben sollte. Nach fast genau zwei Jahren haben wir eines der Paradebeispiele in Deutschlands Gastrokultur wieder besucht: das seit 2007 mit 3 MICHELIN-Sternen dekorierte Restaurant Bareiss.

Hotel Bareiss

Dass das Restaurant Bareiss im gleichnamigen *****S-Hotel im idyllischem Baiersbronn-Mitteltal ein Solitär in Deutschlands Gastronomie-Szene ist, lässt sich ganz einfach und anhand von nackten Zahlen erörtern. Das Restaurant eröffnete in seiner jetzigen Form im Jahre 1982, Claus-Peter Lumpp übernahm die Küchenleitung 1992, Maître Thomas Brandt stieß wenige später dazu und Chef-Patissier Stefan Leitner vor rund 20 Jahren. In Jahren bzw. Betriebszugehörigkeit zusammengefasst: 40, 30, 27,20, und einmalig in Deutschland. Ebenso ereilte das Restaurant kein kometenhafter Aufstieg, sondern eine kontinuierliche und organische Entwicklung, welches in einem 15 Jahre andauernden Prozess, im Jahr 2007, zum 3. MICHELIN-Stern führte. Wir hatten bereits vor 2 Jahren (à Bericht) ausführlich darüber berichtet.

Die Beibehaltung von Traditionen geschieht hier aus tiefster Überzeugung und genau das versprüht etwas unverwechselbar Unaufgeregtes und Verlässliches. Vor der schweren Restaurant-Eingang ereilt uns auch immer eine gewisse Ehrfurcht, unterlegt von dem fantastischen Gefühl - nein sogar der Gewissheit - dass die nun folgenden Stunden grandios werden.

Gastraum

Beim Betreten des barocken Gastraums mit dem opulenten Blumen-Arrangement, silbernen, ausladenden Weinkühlern und dem vertrauten royal-blauen Teppichboden begibt man sich direkt in die herzliche Begrüßung und netten Plausch mit Restaurantleiter und Maître Thomas Brandt, welcher bereits seit 27 Jahren mit großem Charme und unaufdringlicher Professionalität den Gast maximal angenehm eincheckt.

Sommelier Teoman Mezda (Sommelier des Jahre im Großen Guide 2022) übernimmt direkt danach und wie immer höchst sympathisch und charismatisch die Getränkeberatung.

Wir sind tiefenentspannt. Im Glas blubbert der 2015er Jahrgangschampagner von Louis Roederer (Rosé).

Die Menükarte spiegelt ebenso die Großzügigkeit wieder und bietet eine tolle Auswahl an à la carte-Gerichten zur individuellen Menü-Zusammenstellung, ein vollständig vegetarisches Menü, das große Degustationsmenü (8 Gänge / € 265,--) und – an diesem Mittag – ein kleineres 3-Gang Mittagsmenü (€ 165,--).


steckbrief claus-peter lumpp

geb. am 05. März 1964 in Reutlingen

Ausbildung zum Koch 1982 - 1985 im Kurhotel Mitteltal, Baiersbronn

Stationen (Auszug):

1987: Tantris, Heinz Winkler, München

1988: Aubergine, Eckart Witzigmann, München

1989: Kunststuben, Horst Petermann, Zürich

1990: Louis XV, Alain Ducasse

1991: Val d'Or, Johann Lafer, Guldental

seit 1992: Restaurant Bareiss, Baiersbronn



Trotz der sehr bekannten à la carte Ausführung von Lumpps-Gerichten, wählen wir das große Menü, um einen möglichst großen und abwechslungsreichen Querschnitt durch die Küche zu bekommen, und lehnen uns entspannt zurück.

Apéro-Etagère

Los geht es - wie immer - auf der ,bereits zur gastronomischen Ikone gewordenen, polierten Silber-Etagère mit vier minutiös zubereiteten Fingersnacks:

Neben einem hervorragendem Miniatur-Stück Basilikum-Tomaten-Tarte, befindet sich eine Etage darunter die, bereits zur Tradition gewordene, Sushi-Reis-Rolle mit Curry-Füllung, welche mit feiner Kaffir-Limette-Ingwer-Note am Gaumen nachhallt.  Auch die Rindertarar-Praline auf Foccacia mit einem Tupfen Senf Mayonnaise wurde auf Idealgeschmack getrimmt und ist eine wahre Freude. Genauso wie der geräucherter Aal, welcher leichtfüßig mit  Mango und Passionsfrucht kombiniert wurde. Die exakte, filigrane Ausführung der kleinen Meisterwerke ist jedes Mal aufs Neue verblüffend. Ganz Großes Kino!

Feta - Honig - Olive

Auf dem Fuß  folgt das kalte Amuse Bouche in Form eines Feta-Mousses, welches wunderbar zwischen Cremigkeit und ein gewissen Luftigkeit changiert, und mit etwas Honig und Olive, zwei schön ergänzende Mitspieler zur Seite bekommen hat. Hinzu kommt ein à Part gereichtes frisches und cremiges Frischkäse-Eis mit Oliven-Tapenade. Das ist erfrischend, lecker und richtig gut.

Schwarzfederhuhn - Guacamole - Mango

Beim warmen Küchengruß wird es dann schon merklich intensiver. Hier bekommen wir es mit einem Türmchen aus einer Guacamole, gebratenem Schwarzfederhuhn und einem Buchweizenchip zu tun, welches von einer fruchtig-säuerlichen Mango-Sauce umgeben ist. Auch wenn sich diese Kreation beinahe profan anhört, so ist die Umsetzung sensationell. Denn die Herzhaftigkeit der des Schwarzfederhuhns wird wunderbar von der Frische der stückigen Guacamole getragen und durch exotische Frische und Säure der Mango ergänzt. Toll ausbalanciert und erfrischender Exkurs.

Variation von der Gänsestopfleber mit Kirschen, Thymian, Haselnuss und Kirschgranité

Wir starten ins Menü mit einer der Paradedisziplinen von Claus-Peter Lumpp: Gänseleber. Kaum zuvor hatten wir dieses Thema so klassisch und spannend zugleich auf dem Teller. Auch heute. Lumpp wählt für die meisterhaft hergestellte Terrine mit Portwein-Haube eine Entourage aus Kirsche, Haselnuss und Thymian. Von der Gänseleber-Crème Brûlée, über das Gänseleber-Panna Cotta, welches mit einem kühlen Kirsch-Granitée nappiert wurde, bis hin zur wunderbar üppig und cremigen Haselnuss-Creme kann man schon mal ins Schwärmen geraten. Weltklasse!

Marinierter Kingfisch mit Passepierre, provenzialischer Mandelcrème und weißer Tomatensauce

Mit roh mariniertem, lauwarmen Kingfish wird die Speisenfolge fortgeführt. Sommerlich frisch kombiniert die Küche diesen mit provenzalischer Mandelcreme, einer Art Tomaten-Beurre Blanc (weiße Tomatensauce), Passe Pierre, Tomatensegmenten und Basilikum-Öl. Der feine feste Fisch erzeugt kann sich trotz der umamireichen Mitspieler wunderbar behaupten. Das ist wahrscheinlich einer der elegantesten Kombinationen aus Tomate und Basilikum, welche wir jemals hatten. Schlozig, buttrig und in einer faszinierenden Balance. Wunderbar!

Kabeljau in Olivenöl konfiert, auf Artischokenpüree, mit geräucherter Paprika und emulgiertem Pulposud

Auf Fisch folgt Fisch. Diesmal erwartet uns eine schneeweise, in Olivenöl konfierte Tranche Kabeljau von fabulöser Qualität. Hinzu kommen butterzarte Pulpostücke, geräucherte Paprika-Schleifen, Artischokenpüree und ein herrlich leichter (emulgierter) Pulposud, welcher sich leise, und doch charaktervoll einbringen. Der feine, milde Fisch kann mühelos im Ensemble mithalten und wird nur gelegentlich von der intensiven, rauchigen Paprika und leichten Bitternoten der Artischocke gefordert. Das ist so unaufgeregt, wie eine leichte Brise am Mittelmeer, mediterrane Zeitlosigkeit und gleichzeitig eine tolle Demonstration, dass Klassik auch ohne intensiv reduzierten Fonds, Butter oder Sahne auskommt. Große Klasse!

Gefüllte Zucchini-Blüte auf Taboulé und Tandoori-Joghurt

Beinahe unorthodox und sicher auch sicherlich den sommerlich heißen Temperaturen geschuldet fällt der Zwischengang leicht und vegetabil aus. Hierzu präsentiert die Küche eine gefüllte Zucchini-Blüte auf Taboulé, umgeben von Tandoori-Joghurt. Im Wissen was noch kommen wird, sicher eine gelungene Idee. Unkompliziert, leicht und saulecker.

"Reh aus Bareiss-Jagd" - Rehrücken in Wildaromen gegart, mit Holunderblüten und wildem Broccoli

Rehnüsschen im gewürzten Rotweinsud pochiert, mit roh mariniertem Selleriesalat und Preiselbeer-Vinaigrette & Holunderblüten-Raviolo

Zu unserer  großen Freude, war auch die heimische Reh-Jagd wieder erfolgreich. Und auch heute ist das, in Perfektion gegarte (einmal kurz „in Wildaromen“ gebraten und einmal in Spätburgunder pochiert),  Fleisch wieder von Referenzqualität. Demzufolge nimmt auch die Entourage eine eher untergeordnete Rolle ein und besteht lediglich aus etwas wildem Brokkoli und handselektierten Pfifferlingen und einer zum Niederknien guten Reh-Jus. Auf dem Satelliten-Teller wird die pochierte Reh-Nuss von einem säuerlichen Selleriesalat und einer Preiselbeer-Vinaigrette flankiert. Das Holunderblüten-Raviolo ist (wie schon beim letzten Besuch) das i-Tüpfelchen, welches fruchtig-süß im Mund aufplatzt. Besser kann man dem Thema Reh kulinarisch wohl nicht begegnen, allerhöchstens anders. Weltklasse!

Käseauswahl vom Wagen

Und da rollt er wieder an, der wohl beeindruckendste Käsewagen der Republik, welcher beinahe schon einen Bildungsauftrag innehat. Von Appenzeller bis White Stilton, von Kuh, über Schaf zur Ziege und das natürlich in allen Intensitätsgraden. Bei so viel Auswahl lassen wir uns gerne eine Auswahl zusammenstellen. Unnötig zu erwähnen, dass auch die Auswahl an Brot und Condiments seines gleichen sucht. Für uns Käseliebhaber ist es der Himmel.

"Himbeere"

Und das Beste kommt ja erst noch. Stefan Leitner eröffnet den süßen Teil des Menüs, mit einem fabulösen Quintett an süßen Kleinkunstwerken, welche sich in Gänze dem Thema „Himbeere“ widmen. Mit großer Leidenschaft und seinem unverwechselbaren Feinsinn für Aromen und der idealen Balance aus Süße, Säure und Üppigkeit, unterlegt er die Beere (aus der Familie der Rosengewächse) mit verschiedenen Aromen-Teppichen. Er kombiniert sie mit Pistazie und formt ein hauchdünnes Röllchen daraus, umgibt sie mit intensiver Guanaja-Schokolade oder mit Butterkeks-Creme und Verbene-Sud. Jede Kreation ein Lehrstück und zum Verrücktwerden gut.

Friandises (serviert + vom Wagen)

Auch die Friandises, welche in puncto handwerklicher Präzision und Auswahl (serviert + Auswahl vom Wagen) wohl lange und erfolglos nach Ihres Gleichen suchen, sind nicht von dieser Welt. Die kleinen Miniaturkunstwerke schließen ein herausragendes Menü ab, welches uns (exakt 2 Jahre später nach unserem letzten Besuch) deutlich leichter und eine Spur kosmologischer vorkam.

Vielleicht mag das am Gemüsegang mit indischer Akzentuierung oder der zwei, bemerkenswert mediterranen Gerichte liegen. Natürlich handelt es sich auch nur um eine Momentaufnahme. Diese zeigt uns aber auch, dass die Küche - trotz Ihrer Konstanz auf Weltklasse-Niveau – unter Lumpp auch nach 30 Jahren noch kleine, feine Wandlungen und Twists erfährt. Sich Tradition und Wandel auf die Fahne zuschreiben ist das eine, diese aus tiefster Überzeugung zu leben, das andere. Wir wurden wieder euphorischer Zeuge und können unseren nächsten Besuch schon jetzt kaum noch erwarten. Bis bald!

Alkoholische Getränkebegleitung

Teomann Mezda hat ein Händchen für das nicht Alltägliche und servierte uns wieder eine spannende Weinbegleitung „off the Box“. Die Reise führte von Baden bis in den Libanon, von Chardonnay bis Savagnin Rosé, geschickt changierend zwischen Traditionshäusern und Geheimtipps. Unbeirrbar und schlichtweg sensationell.

 

Team

Claus-Peter Lumpp (links), Thomas Brandt & Teomann Mezda (mitte), Stefan Leitner (rechts)

Fazit

Schlaraffenland, Sehnsuchtsort und wohl einer der sichersten Bänke in Deutschlands kulinarischer Speerspitze und darüber hinaus. Das Restaurant Bareiss, in Baiersbronn-Mitteltal ist all das und noch viel mehr.


weitere informationen:

Adresse: Hotel Bareiss
  Hermine-Bareiss-Weg 1
  72270 Baiersbronn
   
Homepage: https://www.bareiss.com/
   
Servicezeiten: Mittwoch bis Sonntag: ab 12:00 Uhr & abends ab 19:00 Uhr
   
Chef de Cuisine: Claus-Peter Lumpp
   
Besuchskonditionen: Unser Besuch wurde vom Restaurant unterstützt
   
Kosten: Großes Degustationsmenü (8 Gänge): € 265,-- / Mittagsmenü (3 Gänge): € 165,--
  à la carte Gerichte wählbar  (ab € 98,-- / Desserts ab € 52,--)
   
Auszeichnungen: 3 Sterne (Guide Michelin 2022)
  4 Hauben in rot / 5 rote Bestecke (Gault Millau 2022)
  5 Hauben (Der Große Guide 2022)
   
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